Liebe Leserinnen und Leser,

in meinem ersten Newsletter im neuen Jahr habe ich mich mit folgendem Thema beschäftigt:

Eltern – Was geben sie uns mit?

Manchmal kann man beobachten, dass Eigenschaften sich innerhalb einer Familie wiederholen. Forscher haben herausgefunden, dass Äußerlichkeiten jedenfalls vererbbar sind. Es besteht die Möglichkeit, Fähigkeiten oder Talente weiter zu vererben. Das Wichtigste jedoch für die Formung des Charakters und der Persönlichkeit ist die Vorbildwirkung der Eltern. Hier sollen insbesondere die ersten drei Lebensjahre eines Kindes entscheidend sein, die die Grundlage dafür bilden, wie sich das Kind dann als Erwachsener fühlt, denkt und handelt. Darüber hinaus behauptete der US-Psychologe John Watson in den 1920er-Jahren, dass er jedes Kind so formen könne, dass es zu einer Art „Spezialisten“ ausgebildet werden könne – wie beispielsweise Arzt, Rechtsanwalt, Künstler, Geschäftsmann, …

Forscher in unserer Zeit, vertreten hingegen die Ansicht, dass Kinder nicht so leicht formbar sind, wie man einst glaubte. Die Persönlichkeit eines Menschen ergibt sich vielmehr aus einer komplexen Wechselwirkung mit der Umwelt. Wenngleich dabei auch Erbanlagen eine gewisse Rolle spielen, so zeigen diese doch nur eine Tendenz, in die sich der Mensch entwickeln könne, aber nicht müsse. Genetisch bedingt haben Forscher herausgefunden, dass bei der Zeugung jedes Gen doppelt vorliegt, das heißt sowohl von mütterlicher als auch von väterlicher Seite. Nun ist es möglich, dass die Erbinformation eines Genpaares eines Elternteils ganz unterdrückt wird oder aber, dass sie sich in ihrer Wechselwirkung verstärken oder auch abschwächen. Möglich ist aber auch, dass die Genanlagen zusammen wirken und damit die Effekte verändern. Das Resultat daraus ist dann, dass ein Kind seine Veranlagungen allein vom Vater oder von der Mutter haben kann; es kann aber auch eine Mischform beider Anlagen haben. Eine weitere Möglichkeit ist nicht zu unterschätzen, nämlich dass Gene früherer Vorfahren wieder auftauchen, die in der Vorgeneration nicht aufgetreten sind. Damit können ganz neue Eigenschaften auftreten.

Damit ist aber auch klar, dass jeder Mensch höchst individuell ist.

Im Zuge von Studien über die Persönlichkeitsentwicklung von Menschen über die Jahre hat sich herauskristallisiert, dass entgegen der früheren Ansicht, die Persönlichkeit nicht nur in den ersten drei Kindheitsjahren geprägt wird. Vielmehr ist die Persönlichkeit in der gesamten Jugendzeit in Bewegung. Erst danach zeigt sich eine Tendenz, dass sich diese verfestigt. Doch selbst im „Alter“ sind immer noch Umbrüche möglich.

Oft hört man, dass Kinder meinen, ihren Eltern immer ähnlicher zu werden. Dies ist in der Forschung jedoch noch nicht belegbar. Es ist zuzugestehen, dass die zunehmende Ähnlichkeit dadurch entstehen kann, dass man sich in jungen Jahren mehreren Lebensstufen von den Eltern entfernt fühlt. Es liegen die Schule, Berufsfindung, Familiengründung etc. vor einem. Später wird das Leben beständiger, die Lebensphasen und die Wahrnehmung gleichen sich an jene der Eltern an. In dieser Phase findet man mehr Übereinstimmungen.

Wie sieht dies mit Geschwistern aus? Ähnlichkeiten wurden festgestellt über das Verständnis von Humor. So zeigte sich, dass Kinder, die in einem gleichen Haushalt aufgewachsen sind, ein ähnliches Verständnis davon haben, was witzig sei. Anders ist dies jedoch bei Essensvorlieben, sozialen und politischen Haltungen sowie der Meinung zu körperlicher Aggressivität. Irrig ist jedenfalls die Annahme, dass Eltern ihre Kinder „gleich“ erziehen können. Selbst wenn sie dies wollten, wäre es nicht möglich, da Kinder von Geburt an verschieden sind. Eines ist auch gewiss, dass Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stoßen. Oft fragt man sich: Wer prägt hier eigentlich wen?

Kinder wie Erwachsene wählen sich ihre Umwelt so weit wie möglich selbst aus. Sie gestalten sie dann ihrer Eigenart entsprechend. Folglich haben sie erheblichen Einfluss darauf, was sie formt und was nicht.

Eltern müssen akzeptieren, dass sie ihr Kind nicht auf direktem Weg ändern können. Sie können ihrem Kind immer nur ein Angebot machen und die Umwelt so weit wie möglich an das Kind anpassen. Als Eltern bieten wir unseren Kindern uns selbst an: die Art zu sprechen, Gefühle zu zeigen oder zu verbergen, Schwierigkeiten anzugehen, Abhängigkeit und Unabhängigkeit zu leben, Werte einzufordern und vorzuleben. Darüber hinaus verschaffen wir Kindern den Zugang zu ganz bestimmten Umwelten: zu Mitmenschen, zur Natur, Spielzeugen, Kindergärten, Schulen, Stadtvierteln. Das Kind selbst wählt aus, wovon es sich beeinflussen lässt und was von ihm abprallt.

Das bedeutet aber auch, dass nicht die Kindheit die Quelle aller Probleme ist und wir negative Erfahrungen/Erlebnisse nicht immer und ausschließlich auf unsere Eltern schieben können bzw. unsere Kinder auf uns als Eltern. Es gibt hierzu übrigens ein sehr schönes Buch von Ben Furman – „Es ist nie zu spät eine glückliche Kindheit zu haben“.

Vielleicht helfen Ihnen diese Einblicke sowohl aus Sicht der Eltern, aber auch aus Sicht der Kinder weiter; schließlich waren wir alle ja auch einmal in der Rolle des Kindes.

Herzlichst,

Natascha Freund

Quelle: GeoWissen Nr. 34/2004

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