In allen zwischenmenschlichen Beziehungen, egal ob in Familie, Beruf oder Partnerschaft ist Kommunikation das Öl, das Schmiermittel der Verständigung. Ohne Kommunikation kommen wir als Menschen und Gesellschaft nicht aus. Kommunikation verändert sich – einerseits evolutionär, auch durch neue Techniken. Das letzte Corona-Jahr hat aber viel mehr in der Kommunikation verändert, quasi revolutionär. Wie wir anderen begegnen – mit Abstand, teilweise Abgrenzung und Angst ist ein Ergebnis der Umstände. Daher hat mich ein Interview mit Professor Schulz von Thun über die kommunikativen Effekte der Pandemie angesprochen, das Ende April 2021 im Spiegel erschienen ist.

Schulz von Thun ist Kommunikationswissenschaftler und hat das Vier-Ohren-Modell entwickelt. Es geht dabei um die vier Seiten einer Nachricht: Wenn ich etwas sage, dann ist das nie nur (1) eine Information, ich zeige mehr, nämlich: (2) was ich von meinem Gegenüber halte, (3) in welcher Beziehung ich zu ihm stehe und (4) für was ich appellieren möchte.

Das Interview adressierte die Frage wie die aktuelle Pandemie das Sprechen, das Kommunizieren und die Begegnung von Menschen verändert hat, weil es eine Pandemie ist, in der Sprachkontakt reduziert wurde, weil sich Menschen viel weniger begegnen. Und durch die eingeschränkten Bewegungsradien gibt es auch weniger berichtenswerte Ereignisse aus dem eigenen Leben, es gibt vielleicht weniger „Spannendes“ zu erzählen.

Schulz von Thun erläutert, dass wir zu „Bildschirmmenschen“ geworden sind, die „von morgens bis abends in Calls sitzen, die sind abends nicht mehr ansprechbar, weil sie so erledigt sind.“ Er bezeichnet diese Bildschirmkommunikation als „exzellente Notlösung, aber das zwischenmenschliche Leben mit echtem Kontakt und Berührung verkümmert“. Es ist auch die Gewöhnung, die neue Normalität. Wer kann sich schon vorstellen, in Menschengruppen zu sein, sei es auf einer privaten Party, einem Konzert, oder im Fußballstadion. „Alle zusammen, eng an eng, nicht wissen, wer geimpft ist und wer nicht, das kann von lähmender Verunsicherung begleitet sein.“ Schulz von Thun folgert, dass uns die Pandemie die Unbekümmertheit genommen hat, dass es uns schwerfällt, spontan und locker zu sein. Vorsicht und Zurückhaltung bestimmen unser Tun. Er meint aber auch, dass diese zeitweise verloren gegangene Spontanität zurückkehren wird und vergleicht das mit Menschen, „die ein paar Jahre im Gefängnis waren“. Nach einer Eingewöhnung werden alte Reaktions- und Kommunikationsmuster wieder aktiv, es wurde nichts verlernt.

Für Kommunikation wichtig zu verstehen ist, dass was wir 2020/21 erleben sowohl ein gemeinsames, ein Kollektivschicksal ist, weil eine gemeinsame Betroffenheit entsteht. „Gleichzeitig ist sie ein hochindividuelles Schicksal, jeder Mensch erlebt diese Krise anders.“  Das führt auch zu Polarisierungen. Wir erleben dies im Diskurs zwischen Menschen, die den Kurs der Einschränkungen und Vorsicht stützen und den „Corona-Leugner“, diese Gruppen geraten miteinander in Konflikt.

Schulz von Thun betont einen wichtigen Punkt der Vereinsamung „Durch Trennungen, ob gewollt oder durch Kontaktbeschränkungen, entfällt das gesamtgesellschaftliche Wir. Der Mensch ist ein Beziehungswesen, er braucht das Wir – das Ich blüht auf im Wir. Die Beschränkungen führen dazu, dass dieses Wir reduziert ist, sterilisiert, standardisiert. Das kann eine sehr verstörende Erfahrung sein.“ Dieser Teil hat mich besonders angesprochen, denn wer hat nicht die Erfahrung gemacht, andere Menschen nicht sehen zu dürfen, eine Reise nicht machen zu können, den Abend im Sportverein nicht erleben zu dürfen. Hier geht eine wichtige Komponente verloren, und das betrifft uns alle, ganz stark auch den Sektor der Kinder, Jugendlichen und der Bildung.

Ein weiterer Punkt ist mir aufgefallen: was ist, wenn die Pandemie kein definiertes Ende hat, sondern wir lange mit einer gewissen Form von Schutzmaßnahmen leben müssen? Schulz von Thun hält das für „uns als Beziehungswesen schrecklich. Manch einer und manch eine wird zermürben und depressiv werden. Und es wird die Menschen geben, die erfinderisch werden. Die lernen, für sich und ihre Lieben unter den gegebenen Bedingungen lebensfroh zu bleiben.“ Dies bezeichnet er als Selbstfürsorglichkeitsfindigkeit – ein kompliziertes Wort.

Er zieht auch Vergleiche zu Aufzeichnungen von Menschen aus der Zeit der Spanischen Grippe und erwähnt, dass diese weniger emotional waren, sondern mehr „schicksalsergeben“. Heute ist das anders, aber weil es früher so war, ist seine Schlussfolgerung: „Das ermöglichte damals vielleicht eine größere Gelassenheit im Ertragen. Für viele von uns heute ist unser diesseitiges Leben unser Ein und Alles: Es ist zur letzten Gelegenheit geworden, und was wir hier verpassen, ist unwiederbringlich verloren. (….) Vielleicht sind wir deswegen heute aufgebrachter, alarmierter, und tun uns schwerer mit der Gelassenheit und der Schicksalsergebenheit – die wir brauchen, wenn wir die Pandemie nicht dauerhaft in den Griff kriegen sollten.“

Diese These fand ich besonders interessant. Die Situation nicht nur aus dem Hier und Jetzt zu erleben, mit der Kritik an dem, was wir verpassen, sondern in einem größeren Bild, in längeren Zeitläufen zu sehen. Das finde ich, ist ein wertvoller Hinweis, der uns trotz aller Widrigkeiten des Alltags Optimismus spüren lässt. Gleichzeitig wird klar: die Kommunikation, das Verhalten hat sich verändert, und manches davon wird bleiben. Hoffen wir, dass es nicht der Verlust des „Wir“ ist, den wir eines Tages bedauern müssen.