Autor: Dr.in Nanina Freund, LL.M. (Seite 1 von 48)

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Pflichtgefühl als Familienherausforderung

Letztes las ich einen Artikel in der Zeit (Nr 19/22, vom 5.5.22) mit der Überschrift: „Was schulden wir unseren Eltern?“ Es ging um die Frage, was wir unseren Eltern geben müssen, wenn sie alt, krank und pflegebedürftig sind. Es ging auch um die Erwartungen der Eltern an uns und überhaupt um die Frage, was dürfen Eltern heutzutage noch erwarten bzw. dürfen sie etwas erwarten? Vielleicht haben Sie über diese Frage auch schon nachgedacht. Wie verhalten Sie sich? Engagieren Sie sich stark aus Dankbarkeit, dass sich Ihre Eltern in Ihrer Jugend um Sie gekümmert haben? Oder tun Sie es aus Pflichtgefühl? Oder kümmern Sie sich gar nicht, weil Sie Ihre Eltern in anderen Händen (Geschwister, Pflegeeinrichtung) gut betreut wissen? Was „darf“ man tun / denken in dieser Lage?

Es wird wohl jeder / jede ein bisschen anders sehen, seine / ihre eigene Welt einbringen und darum gibt es auf die Frage „Was schulden WIR…“ wohl keine konkrete, kollektive Antwort. Und der Begriff des „Schuldens“ kann auch hinterfragt werden. Wer gibt uns diese Hypothek mit? Sind wir qua Geburt Schuldner unsere Eltern und sie unsere Gläubiger? Ich gebe zu, die Frage verändert sich.

Viele ältere Menschen brauchen Unterstützung und es ist für die meisten sehr viel unangenehmer, dieses Leben zu führen als für uns. Sie müssen sich umstellen, erkennen, was nicht mehr so gut geht und manchmal Einschränkungen erkennen und hinnehmen. Angenehm ist das vermutlich nicht. Gleichzeitig wachsen die Jüngeren in eine Welt hinein, die viel mehr fordert und sich viel schneller bewegt als zur Zeit unserer Kindheit. Ausbildung, Beruf, Familie, Beziehung,…. alles ist dem Wandel unterlegen und wird optimiert. Zeit für die Eltern?… Schwierig, aber zum Glück für viele, wurde dieser Bereich ja auch professionalisierst. Kaum noch ein Senior /Seniorin lebt „auf dem Hof“, den nun die Jüngeren bewirtschaften.

Und noch dieses: auch wir werden einmal alt und bedürftig. Was erwarten wir dann von unseren Kindern? Worauf dürfen wir hoffen? Ich kenne einige Menschen, die die Frage des eigenen Alterns gerne verdrängen.

Viele Menschen haben ja auch kein entspanntes Verhalten zu ihren Eltern. Das kann die Frage nach Pflicht und Empathie als UnterstützerIn nochmal ein Stück schwieriger machen. Viele wollen auch, eine gute Tochter oder ein guter Sohn sein. Dafür macht man sich oft von der Interpretation abhängig, was die Eltern wohl über die eigenen Handlungen denken würden, statt sich selbst zu fragen, ob das was man tut gut und genug ist. Muss man seinem dementen Vater jede Woche im Altersheim besuchen, wenn er einen nicht mehr erkennt? Reicht es ev. auch aus, anzurufen, wenn man so ins Gespräch kommt und er die Stimme erkennt und plaudert?

Eine für mich überzeugende Erklärung findet sich am Ende des Artikels. Dort heißt es: „…, dass das Band zu den Eltern trotzdem nie ganz reißt. Denn Eltern, die in ihrer Rolle nicht völlig versagt haben, bleiben für immer die Menschen, die für uns da waren in den ersten Jahren, als wir noch gar nichts konnten, die uns Essen, Trost und Wärme gaben, die elementare Dinge beibrachten. Und aus dieser Bindung, die meist stärker sei als alles, was danach schieflief, ergebe sich am Ende, wenn die Zeit einem davonrennt, das „zutiefst menschliche Bedürfnis“, den Eltern etwas zurückzugeben.“ Insofern ist es wohl weniger eine aktive Entscheidung als mehr eine unterbewusste Handlung?!

Denken Sie gerne darüber nach, wie es bei Ihnen ist.

 

 

Ist Online alles erlaubt?

Geht eine Partnerschaft zu Ende, dann liegt dem oft ein Streit zu Grunde. Und einige Menschen haben mit dem Ende der Partnerschaft die Kommunikation darüber nicht abgeschlossen, insbesondere wenn es um gemeinsame Kinder geht. Das, was sie dem (Ex-)Partner sagen möchten, sagen oder schreiben sie dann oft ins Internet, und dabei geht es nicht immer freundlich zu. Ein aktueller Fall belegt dies:

Der Streit zweier Ex-Partner um Obsorge und Kontaktrecht für ihre drei Kinder ist kürzlich bis zum Obersten Gerichtshof (OGH) gegangen: Denn die Mutter veröffentlichte auf ihrem öffentlich einsehbaren Facebook-Konto ein Posting, in dem sie ihren Ex unter anderem beschuldigte, ihr die Kinder zu entfremden. Ihrem Ex-Mann unterstellte sie „negative Motivation“. Darunter schrieben Nutzer negative Kommentare über den Vater und seine Eltern.

Der Vater behauptete eine Verletzung seiner Privatsphäre und des Rechts auf Familienleben. Die Mutter argumentierte mit ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung. Der OGH gab dem Vater recht: Der Frau ginge es nur darum, Stimmung gegen Ex und Pflegschaftsgericht zu machen. Ihre Angriffe seien nicht geeignet, ihre Rechte durchzusetzen. Außerdem leiste sie keinen Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Die Frau muss Posting und Kommentare löschen.

Der Mann hat diese Entscheidung mit einem Antrag gemäß § 382g Exekutionsordnung eine sogenannte „Stalking“-Einstweilige-Verfügung (EV) durchgesetzt. Es hat sich gezeigt, dass eine „Stalking“-EV ein zielführendes Verfahren sein kann, um sich gegen unliebsame Postings und Kommentare im Netz zur Wehr zu setzen.

Bei der „Stalking“-EV erlässt das Bezirksgericht auf Antrag eine einstweilige Verfügung zum Schutz vor einem Eingriff in die Privatsphäre. Das Gericht kann zum Beispiel die Verbreitung personenbezogener Daten verbieten. Alternativ dazu kommt ein Vorgehen gemäß der „Hass im Netz“ Regeln in Betracht: Bei schwerwiegenden Rechtsverletzungen, die die Menschenwürde berühren, kann beim Bezirksgericht die Löschung beantragt werden, und zwar ohne vorangehende Verhandlung. Als dritte Möglichkeit steht Betroffenen das Kommunikationsplattformen-Gesetz zur Verfügung. Hat eine Plattform mehr als 100.000 Nutzer und erzielt einen Umsatz von mehr als 500.000 Euro, dann muss der Betreiber ein schnelles Verfahren einrichten, wo strafrechtswidrige Inhalte gemeldet werden können. Ist das Posting „offensichtlich rechtswidrig“, ist binnen 24 Stunden zu löschen. Braucht es eine Prüfung, hat der Betreiber sieben Tage Zeit.

Wer allerdings seine Kommunikation und Streitigkeiten nicht öffentlich über soziale Medien austragen möchte, der kann auch eine psychotherapeutische Begleitung, ein Coaching oder eine Familienberatung in Erwägung ziehen. Auch wenn man kein Paar mehr ist, auf der Elternebene bleibt man verbunden und vielleicht vermeidet man, dass die Kinder mitlesen können, welche „Freundlichkeiten“ man über das Internet austauscht.

Quelle: apa.at

Widerstands – Kraft: Widerstandsfähig sein, bleiben und werden

„Es ist mir zu viel. Ich kann nicht mehr.“ …denken Sie das manchmal? Wenn ja, es ist gar nicht so überraschend. Nicht nur die Umstände, die uns alle seit Frühjahr 2020 ein anderes Leben abfordern als wir es gewohnt sind, auch die Zeichen der Zeit im Allgemeinen lassen viele Menschen daran zweifeln, dass ein gutes, ausbalanciertes, erfreuliches Leben möglich ist. Sie erleben Anspannung, Stress, Bedrohung, privat und im Beruf, aber auch individuell und kollektiv. Unsere ganze Gesellschaft ächzt unter den vielen besorgniserregenden Nachrichten dieser Tage – von Klima über Krieg bis hin zu Gesundheit.

Vielen Menschen geht die Widerstandsfähigkeit aus; sie können sich kaum noch gegen alle diese Entwicklungen stemmen und Hoffnung erleben bzw. die Kraft zum Gegenhalten. Vielleicht haben Sie auch schon den Fachbegriff dafür gehört – Resilienz. Das ist die innere Widerstandskraft, die in schwierigen Zeiten Halt gibt. Resiliente Menschen schaffen es, einer Krise rückblickend nicht nur Negatives, sondern auch etwas Positives abzugewinnen. Das bedeutet: statt Opfer der „nicht änderbaren“ Umstände zu sein, übernehmen diese Menschen Selbstverantwortung und gehen gestärkt aus Krisensituationen hervor.

Das ist natürlich leicht gesagt, denn Resilienz ist nicht angeboren. Es ist keine „Typ-Frage“, sondern eine Haltung, die man auch erlernen kann. Dazu ist es hilfreich, die 7 Säulen der Resilienz zu kennen. Diese sind (Quelle: Der Standard, 17.1.2022)

  • die Fähigkeit zur Akzeptanz: letztendlich heißt dies nicht, die Dinge hinzunehmen wie sie schicksalhaft sind, aber zu wissen, was man ändern kann und was nicht. Eine gute Einordnung und Realitätssinn gehören dazu.
  • eine optimistisch-realistische Grundhaltung: das spricht für sich selbst. An das Gute glauben, ohne übertriebenen Optimismus, aber auch ohne grundlose Furcht „vor dem Schlimmsten“.
  • Analyse- und Lösungsorientiertheit: hier geht es darum, die Situation einschätzen zu können, Ursachen und Wirkungen zu verstehen und sich einen Plan zu machen, wie man mit der Situation umgeht oder herauskommt.
  • Bindungsfähigkeit: hier geht es darum, sich nicht allein abzugrenzen, sondern positive Verbindung zu anderen Menschen aufzubauen oder zu behalten.
  • Selbstwahrnehmung: die Fähigkeit, sich selbst neutral zu betrachten, zu fragen: Wie geht es mir und was brauche ich?
  • die Bereitschaft zur Selbstreflexion: ganz wichtig ist diese Fähigkeit des Nachdenkens über das eigene Handeln und sich selbst analytisch-freundlich-kritisch zu betrachten.
  • Selbstwirksamkeit: das Bewusstsein, dass die eigenen Handlungen sich auch auf andere auswirken, positiv oder negativ.

Allein das Nachdenken über diese Punkte ist eine große Aufgabe: Wie sehe ich mich selbst und wie sehe ich mich im Verhältnis zu anderen, insbesondere wenn schwierige Situationen entstehen? Wie kann ich den Druck puffern und vielleicht sogar in positive Kraft umwandeln?

Das beschäftigt viele Menschen, nicht nur für sich selbst, sondern auch im Gedanken an unsere Gemeinschaft, als ganze Gesellschaft. Auch hier ist Resilienz gefragt. Bei allem, was wir erleben, bedeutet das vorausschauend denken und handeln, Maßnahmen umsetzen, die eine drohende Gefährdung schon im Vorfeld abfedern oder zumindest das Ausmaß der eigenen Verletzlichkeit mindern. Diese Schritte brauchen wir selbst für uns ebenso wie als Gesellschaft als Ganzes.

Resilienz kann man schrittweise aufbauen und erlernen. Gespräche sind dabei hilfreich, ebenso wie Meditationen oder auch tätige Hilfe in Krisen, der Einsatz für wohltätige Organisationen oder psychologische Betreuung. Je mehr Menschen Resilienz beherrschen und leben, desto resilienter reagiert auch die Gesellschaft als Ganzes.

Und denken Sie auch an die Selbstfürsorge – was tut Ihnen gut? Was verstärkt die negativen Gefühle und Gedanken eher – was verstärkt die positiven Gefühle und Gedanken? Fragen und Antworten an sich selbst sind gut für die Ausbildung und das Wachstum der eigenen Resilienz.

Und so gibt es für die Resilienz zahlreiche kleine und größere Übungen auf körperlicher und geistiger Ebene, die Ihnen helfen können, aus Krisen sogar Widerstandskraft zu schöpfen.

Die längste Beziehung Ihres Lebens

Wenn es in meinem Newsletter um Beziehungen und Themen, Probleme und mögliche Lösungen geht, dann sind oft Paarbeziehungen im Vordergrund. Heute möchte ich eine andere Beziehung in den Vordergrund stellen – die Geschwisterbeziehung. Der SPIEGEL hat diesem Thema eine Titelstory gewidmet (Nr. 51/2021) unter dem Titel „Gezwister“.

Von dieser Namensgebung fühlt sich eventuell mancher angesprochen. Es geht darum, dass wir zu unseren Geschwistern in der Regel die längste Beziehung führen, die wir haben und dass das, was wir in der Kindheit in dieser Beziehung erleben und erfahren unser Leben prägen kann – nicht nur familiär, sondern auch außerhalb. Die Muster aus der Kindheit – Sie ahnen es schon – übernehmen wir auch hier für unser späteres Leben. Waren wir unter den Geschwistern die ältesten und „führenden“, wird sich das auch später in unseren persönlichen Beziehungen und gegebenenfalls auch im Beruf zeigen. Sind wir die Spätgeborenen, Nachzügler wird sich das, was wir in der Familie in dieser Rolle erfahren auch später in unserem Leben als wichtig erweisen.

Die Geschwisterbeziehung vermittelt uns ganz viel von dem, worauf es im Leben später ankommt – Konkurrenz, Gemeinsamkeit, Nähe, Entfernung, Streit, Versöhnung – und zwar nicht nur im Verhältnis zueinander sondern auch zu den Eltern. Was mich besonders angesprochen hat, war die Analyse, dass jedes Geschwisterkind obwohl es – Patchworkfamilien ausgenommen – die gleichen Eltern hat, doch ganz unterschiedliche Eltern erlebt.

Inzwischen hat sich an mehreren Lehrstühlen eine Geschwisterforschung etabliert. Dabei gibt es mehrere spannende Fragen zu untersuchen, z.B. (1) wer nimmt in der Geschwisterbeziehung welche Rolle ein? (2) Wo halten Geschwister zusammen und wo sind sie Rivalen – zB um die Liebe der Eltern? (3) Wie erfahren, lernen und leben Geschwister Gerechtigkeit? (4) wann und wie erfolgen Kontaktabbrüche und wie kann der Weg zurück (wenn gewollt) gelingen?

Besonders beeindruckt hat mich die Geschichte von 2 Brüdern und einer Schwester, die in ihrer Jugend von den Eltern manipuliert, bestraft und gegeneinander ausgespielt wurden. Die Kälte und Berechnung der Eltern waren verstörend, trieb einen Keil zwischen die Kinder. Das hat letzten Endes dazu geführt, dass die Geschwister keine vertrauensvolle Beziehung zueinander aufbauen konnten und erst als Erwachsene nach dem Tod der Eltern ganz vorsichtige Schritte aufeinander zugehen konnten.

Im positiven Sinne berührend war die Geschichte einer Frau, die mit einem älteren Bruder den Vater und mit 2 jüngeren Schwestern die Mutter „teilt“. Sie hat alle Menschen in ihr Leben integriert und würde die Halbgeschwister nie als etwas anderes ansehen als ihre Kernfamilie.

Gerade die letzte Geschichte zeigt, wie sehr sich Patchwork in unserer Gesellschaft ausgebreitet hat und wie wichtig auch und gerade in Patchworkfamilien gute Beziehungen sind.

Was alle Geschichten eint ist, dass es Brüche und herausfordernde Situationen gibt, die hin und wieder auch externe Unterstützung sinnvoll erscheinen lässt.

 

„Die Verbindung, die Ihre wahre Familie verbindet, ist nicht eine Verbindung von Blut, sondern von Respekt und Freude im Leben des anderen.“

Richard Bach (US-amerikanischer Schriftsteller)

 

 

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