Wenn es in meinem Newsletter um Beziehungen und Themen, Probleme und mögliche Lösungen geht, dann sind oft Paarbeziehungen im Vordergrund. Heute möchte ich eine andere Beziehung in den Vordergrund stellen – die Geschwisterbeziehung. Der SPIEGEL hat diesem Thema eine Titelstory gewidmet (Nr. 51/2021) unter dem Titel „Gezwister“.

Von dieser Namensgebung fühlt sich eventuell mancher angesprochen. Es geht darum, dass wir zu unseren Geschwistern in der Regel die längste Beziehung führen, die wir haben und dass das, was wir in der Kindheit in dieser Beziehung erleben und erfahren unser Leben prägen kann – nicht nur familiär, sondern auch außerhalb. Die Muster aus der Kindheit – Sie ahnen es schon – übernehmen wir auch hier für unser späteres Leben. Waren wir unter den Geschwistern die ältesten und „führenden“, wird sich das auch später in unseren persönlichen Beziehungen und gegebenenfalls auch im Beruf zeigen. Sind wir die Spätgeborenen, Nachzügler wird sich das, was wir in der Familie in dieser Rolle erfahren auch später in unserem Leben als wichtig erweisen.

Die Geschwisterbeziehung vermittelt uns ganz viel von dem, worauf es im Leben später ankommt – Konkurrenz, Gemeinsamkeit, Nähe, Entfernung, Streit, Versöhnung – und zwar nicht nur im Verhältnis zueinander sondern auch zu den Eltern. Was mich besonders angesprochen hat, war die Analyse, dass jedes Geschwisterkind obwohl es – Patchworkfamilien ausgenommen – die gleichen Eltern hat, doch ganz unterschiedliche Eltern erlebt.

Inzwischen hat sich an mehreren Lehrstühlen eine Geschwisterforschung etabliert. Dabei gibt es mehrere spannende Fragen zu untersuchen, z.B. (1) wer nimmt in der Geschwisterbeziehung welche Rolle ein? (2) Wo halten Geschwister zusammen und wo sind sie Rivalen – zB um die Liebe der Eltern? (3) Wie erfahren, lernen und leben Geschwister Gerechtigkeit? (4) wann und wie erfolgen Kontaktabbrüche und wie kann der Weg zurück (wenn gewollt) gelingen?

Besonders beeindruckt hat mich die Geschichte von 2 Brüdern und einer Schwester, die in ihrer Jugend von den Eltern manipuliert, bestraft und gegeneinander ausgespielt wurden. Die Kälte und Berechnung der Eltern waren verstörend, trieb einen Keil zwischen die Kinder. Das hat letzten Endes dazu geführt, dass die Geschwister keine vertrauensvolle Beziehung zueinander aufbauen konnten und erst als Erwachsene nach dem Tod der Eltern ganz vorsichtige Schritte aufeinander zugehen konnten.

Im positiven Sinne berührend war die Geschichte einer Frau, die mit einem älteren Bruder den Vater und mit 2 jüngeren Schwestern die Mutter „teilt“. Sie hat alle Menschen in ihr Leben integriert und würde die Halbgeschwister nie als etwas anderes ansehen als ihre Kernfamilie.

Gerade die letzte Geschichte zeigt, wie sehr sich Patchwork in unserer Gesellschaft ausgebreitet hat und wie wichtig auch und gerade in Patchworkfamilien gute Beziehungen sind.

Was alle Geschichten eint ist, dass es Brüche und herausfordernde Situationen gibt, die hin und wieder auch externe Unterstützung sinnvoll erscheinen lässt.

 

„Die Verbindung, die Ihre wahre Familie verbindet, ist nicht eine Verbindung von Blut, sondern von Respekt und Freude im Leben des anderen.“

Richard Bach (US-amerikanischer Schriftsteller)