Immer wieder werden wir gewarnt und darauf hingewiesen, Stress zu reduzieren. Mit dieser Aussage wird impliziert, dass alle von uns Stress haben. Ist das eine Art Volkskrankheit?  Und wenn das so ist, welche Symptome hat Stress? Wie oder wodurch zeichnet sich Stress aus?

Ist es nicht vielmehr so, dass jeder von uns unter Stress etwas anderes versteht? Was für die/den eine/n Stress bedeutet, muss nicht auch für eine andere Person gelten. Während es für jemanden Stress bedeutet zu spät zu kommen, ist das für jemand anderen kein Thema auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden.

Wenn wir Stress empfinden, empfinden wir eine erhöhte Beanspruchung, manchmal auch einen Ansporn. Das kennen Sie vielleicht? Die Torte für die Geburtstagsfeier muss noch dekoriert werden, die Koffer für den Urlaub sind zu packen oder es ist noch ein Referat für die Schule vorzubereiten …plötzlich werden ungeahnte Kräfte wahr. Man nennt dies den sogenannten Eu-Stress, der eine euphorisierende Wirkung hat. Der Gegensatz dazu ist der Di-Stress, der einem zusetzt und als unangenehm empfunden wird. Stress macht auch widerstandsfähig. Ein stressreiches Erlebnis trainiert uns für zukünftige Krisen. Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die aus ihrer Sicht schwierige Zeiten durchstanden haben, mehr Lebenszufriedenheit zeigten, als jene, die keine solche Situation durchlebt haben.

Wie man sieht, Stress hat viele verschiedene Seiten und es ist ein Faktum, dass es keine allgemeine Definition für Stress gibt. Das Empfinden von Stress ist etwas Persönliches. Ist ein Leben ohne Stress überhaupt möglich? Wohl kaum, denn Stress zu ignorieren oder gar zu verdrängen, ist irgendwie problematisch, aber welche Einstellung wir zu Stress haben, ist letztendlich entscheidend, weil dies unser Handeln und Denken beeinflusst.

Um die vorgenannten Gedanken nachzuempfinden, lade ich Sie zu einem Gedankenexperiment ein:

Streichen Sie jeden stressreichen Tag/jedes stressreiche Erlebnis aus Ihrem Leben. Was bleibt über? Nur die schönen Tage/Erlebnisse? Wohl kaum – denn Sie müssten auch jene Erfahrungen streichen, die Sie bereichert haben, auf die Sie stolz sind/waren, dies trotz der stressigen Umstände bewältigt zu haben….oder?

Angeblich macht Stress auch sozial(er). An der University of California wurde im Zuge einer Studie festgestellt, dass Frauen in Stresssituationen vermehrt für Andere sorgen. Die Verstärkung von sozialer Bindung dämpft die Furcht und macht mutiger. Verantwortlich dafür ist das Hormon Oxytocin. Wird dieses Hormon bei Stress freigesetzt, motiviert es dazu zu unterstützen und auch Unterstützung zu suchen. Es wird vermutet, dass dieses Verhalten von unseren Vorfahren gewählt und trainiert wurde, weil dieses sinnvoller erschien, als zu kämpfen oder zu flüchten. Übrigens, weitere Untersuchungen haben gezeigt, dass dies auch für Männer gilt.

Untersuchungen zeigen ebenso, dass wenn wir Unterstützung leisten können, dies stressfreier und weniger belastend ist, als wenn wir diese Unterstützung nicht leisten können, wollen oder dürfen. Hilfreich zu sein, hat also auch für den „gebenden“ Menschen etwas Gutes. Vor diesem Hintergrund ist wohl auch das folgende Zitat von einem unbekannten Autor zu verstehen:

„Auch der Stress hat etwas für sich: er gibt einem das Gefühl, das man gebraucht wird.“

Lassen Sie nicht andere darüber bestimmen, ob Sie einen stressigen Lebensabschnitt gerade erleben. Ob es stressig ist oder nicht, können nur Sie alleine für sich entscheiden.

Wenn Sie sich gestresst fühlen, möchte ich Ihnen ein paar Tipps geben – vielleicht passt ja der eine oder andere für Sie:

–          ändern Sie Ihren Blickwinkel: Sind Sie beispielsweise nervös? Lassen Sie die Nervosität Sie nicht lähmen, sondern nutzen Sie diese auch als Kraftquelle, die sie anspornt.

–          suchen Sie das Positive an einer Situation. Wodurch stärkt mich diese Situation? Was darf ich daraus lernen?

–          schreiben Sie 10-15 Minuten über etwas, dass Ihnen wichtig ist. Sie tanken daraus positive Energie und das gibt Ihnen wieder Kraft.

–          Stärken Sie Ihren sozialen Umgang: Studien zeigen, dass bei dem Gedanken daran, was wir für andere Menschen Gutes zu können, besser ist als wenn wir mit ihnen in Konkurrenz stehen.

All diese Tätigkeiten können helfen, individuell als stressreiche empfundene Situationen gelassener zu sehen und zu erleben. Ist Stress nicht auch die Fähigkeit mit Herausforderungen umzugehen?

Diesen Newsletter schließe ich mit einem Zitat von Peter Hohl:

„Nicht die Menge der Arbeit verursacht den alltäglichen Stress, sondern der Mensch, der dich ihretwegen kritisiert und unter Druck setzt. Zugegeben: manchmal bist du selbst dieser Mensch.“

 

Quelle: Psychologie Heute, August 2015