Liebe Leserinnen und Leser,

vor einiger Zeit las ich in der Zeitschrift „Der Spiegel“ (34/2015)ein Interview mit Philippe Pozzo di Borgo. Der Name kommt Ihnen vielleicht eher bekannt vor, wenn Sie den Film „Ziemlich beste Freunde“ kennen? In diesem Film geht es um einen Mann (Philippe), der aufgrund eines Unfalls querschnittsgelähmt ist. Demzufolge benötigt er eine 24 Stunden Betreuung. Philippe stellt bewusst einen Krankenpfleger ein, der zum einen gesellschaftlich das komplette Gegenteil von ihm darstellt sowie zum anderen gegen Konventionen verstößt, weil er den schwer Behinderten wie einen gesunden Menschen behandelt.

Der Film beruht auf einer wahren Geschichte. In einem Interview hierzu vertritt Philippe Pozzo di Borgo die Ansicht, dass es die Schwachen sind, die die Chance haben mit ihrer „Botschaft der Unvollkommenheit“ die Welt zu verändern und damit mehr Respekt, Achtung und Menschlichkeit in unsere Gesellschaft zu bringen. Dieses Interview hat mich zum Nachdenken gebracht.

In einem der letzten Newsletter habe ich über die Eile geschrieben, die viele von uns erfasst hat und die unser Leben prägt.

  • Verhindert diese Eile nicht letztendlich auch, dass wir nachhaltig mit anderen Menschen in Kontakt kommen und auch bleiben?
  • Kann jemand, der immer in Eile ist, seinen Mitmenschen genug Achtung und Respekt entgegenbringen?
  • Kann jemand, der in Eile ist, auch Dinge akzeptieren, die mit seinen Lebensinhalten nicht konform gehen?  Armut, Krankheit, Behinderung  passen vielleicht nicht in das Bild und werden gerne „weggedrückt“?

Philippe Pozzo di Borgo vertritt die Ansicht, dass genau diese Menschen – demnach die „Kranken“ –die Chance haben, unser Bild und unsere Einstellung zu verändern:

„Weil wir uns ständig getrieben fühlen, blicken wir nur flüchtig auf die anderen und nehmen deren Bedürfnisse nur oberflächlich wahr. Und den Anblick der vermeintlich Schwachen vermeiden wir regelrecht. Ihr Bild irritiert uns, es passt nicht in das beherrschende Konzept von Wettbewerb. Gleichzeitig neigen wir dazu, unsere eigenen Vorstellungen von vornherein für richtig zu halten (….) Eine Gesellschaft lässt sich aber nur dann angemessen gestalten, wenn man die Bedürfnisse ihrer Mitglieder erkannt hat. (…) Statt uns ständig als Zentrum des Geschehens zu begreifen, müssen wir uns an den Rand stellen, fragen und beobachten. Gerade die vermeintlich Schwachen besitzen das Potenzial, in diesem Punkt einen Bewusstseinswandel einzuläuten.“

Diese Gedanken sind sehr bemerkenswert, insbesondere von einem Menschen, der durch einen Unfall querschnittsgelähmt ist. Natürlich hilft ihm sein Wohlstand diese Ideen zu äußern und zu leben, aber steckt darin nicht eine Botschaft für uns alle?

  • Statt uns selbst im Mittelpunkt zu sehen und unser subjektiv gefühltes Leid zu beklagen, statt unsere 300 Kontakte auf Facebook mit Belanglosigkeiten zu versorgen, sollten wir nicht eventuell auch einmal schauen, was der Nächste braucht, was unserem Nachbarn hilft, wie wir unseren Mitmenschen eine Hand reichen können?
  • Kann es sein, dass im persönlichen Unglück und im persönlichen Leiden auch ein Glück liegt, nämlich dafür die Augen für die Welt zu öffnen und zu sehen, was uns gut tut und dass es die Verbindung zu anderen Menschen ist, die das Leben nachhaltig reich und erfüllt machen?

Vielleicht möchten Sie einmal über diese Haltung nachdenken, wenn Sie das nächste Mal Traurigkeit und Leere verspüren? Und eventuell finden Sie eine Möglichkeit, durch Kontakt zu ihren Mitmenschen Respekt, Achtung, Toleranz, Freude und vor allem Wertschätzung zu erfahren? Und dann kann sich möglicherweise eine ganz neue Welt auftun…

„Eine mächtige Flamme entsteht aus einem winzigen Funken“ (Dante Alighieri)

Mit wertschätzenden Grüßen

Natascha Freund

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